Eventing im Doppelpack - Burghley Horse Trials und EM Blair Castle innert Wochenfrist

Am 1. September kurz vor Mittag ging meine Reise nach England mit dem Wohnmobil von zuhause aus los.
Mein Hund 'Balou' war schon den ganzen Morgen in den Startlöchern. Er merkt jeweils sehr schnell wenn ich mich für eine Reise bereit mache und die will er auf keinen Fall verpassen...
Keine 24 Stunden später stand ich vor Burghley House. Ich hatte die richtige Einfahrt zum Burghley Golf Club verpasst - auf dem Golfplatz war der Caravanpark eingerichtet - und nahm einfach die nächste, die ich finden konnte. Ich fragte mich durch bis mir jemand weiterhelfen konnte. So kam ich eine Weile später auf meinem reservierten Stellplatz an und machte mich gleich auf den Weg, das Turniergelände zu erkunden.
Es war zwar schon viel los, doch Zuschauer waren noch recht wenige anwesend. Die erste Vet-Inspektion begann ja erst um 16Uhr.
Die meisten Aussteller richteten noch ihre Verkaufsstände ein. Der Kaffewagen bot zum Glück schon seine Produkte an. Notabene war der Kaffee richtig gut. Meine Rettung!
Nach der ersten Fashion-Show musste ich sofort die Geländestrecke reinziehen. Schliesslich hatten Balou und ich Bewegungsdrang nach der langen Fahrt.
Was ich da zu sehen bekam übertraf meine Eindrücke von den Videos. Alles war penibel für den grossen Samstag vorbereitet! Die ganze Strecke mit bestem Englischen Rasen ausgestattet, zum Reinbeissen! Alle Hindernisse sehr geschmackvoll mit Blumen geschmückt und mit Dekoration ausstaffiert. Einfach fantastisch!


Camping auf dem Golfplatz

Die nächsten zwei Tage waren der Dressur gewidmet. Michi Jung setzte die Latte am ersten Tag schon mächtig hoch.
Es war lustig wie die Briten es kaum erwarten konnten ihn reiten zu sehen. Ich erzählte einer Zuschauerin neben mir dass ich ihn schon oft live gesehen hätte und auch schon in der gleichen Prüfungen geritten sei. Sie erblasste vor Neid...

Jede Reiterin und jeder Reiter wurde nach beendetem Dressurprogramm kurz interviewt. Die Reaktionen und Antworten unterhielten das mittlerweile schon zahlreiche Publikum hervorragend. Die routinierten Reiter stiegen auch voll auf die Witze des Interviewers ein, was die Stimmung der Zuschauer hochtrieb. Einige Pferde wollten nicht in die Dressurarena einreiten nachdem vor allem die einheimischen Teilnehmer lautstark aus dem Viereck verabschiedet wurden. Die Briten sind richtige Patrioten!

Am zweiten Dressurtag wurde allen voran William Fox-Pitt sehnlichst erwartet. Zur Erleichterung der einheimischen Fans erreichte er nach Korrektur die gleiche Punktzahl wie Michi Jung am Vortag. Das Rennen war lanciert!
Die Darbietung von Michi Jung war aus meiner Sicht sicher präziser geritten, doch William Fox-Pitt profitierte vom Heimvorteil.
Während der Dressurtage war ich oft am Abreiteplatz um die Reiter zu beobachten. Während die einen fleissig nochmals das Programm übten wärmten andere ihre Pferde einfach auf ohne spezifisch auf Programmlektionen einzugehen.
Auch in 4*-Prüfungen ist Präzision der Schlüssel zum Erfolg und keineswegs das spektakuläre Gangwerk eines reinen Dressurpferdes!
Die Teilnehmer waren somit aufgereiht. Die Spannung war zum Abbrechen vor dem Geländetag.

Am Samstagmorgen regnete es noch leicht doch punkt sieben Uhr war Schluss damit und ich konnte mich getrost ohne Regenschutz ins Getümmel werfen!


Einsprung zum ersten Wasser unter der Lion Bridge

Und da kamen sie die Zuschauer! Auto um Auto fuhr über die diversen Einfahrten auf die Parkplätze ein. Die Einen gingen schnurstracks richtung Shoppingzelte - es war ja noch Zeit bis zum ersten Geländestart um 11 Uhr - während andere gleich nach der Ankunft ihr Pick-Nick auspackten und sich den ganzen Tag nicht mehr vom Fleck bewegten! Wie auch mit soviel Weisswein intus ...
In den Einkaufs-"Strassen" wurde zugegriffen dass sich die Balken bogen! Man konnte sich aus dem Angbot einen ganzen Haushalt inklusive Dekoration zusammenstellen - nötig oder nicht sei mal dahin gestellt - und vorallem die weiblichen Besucher machten rege Gebrauch davon!
Naja, ich war ja wegen der sportlichen Ereignisse da...
Auch kulinarisch konnte man aus dem Vollen schöpfen! Mein erster Gang nach dem Morgenkaffee war die Früchtebar. Dort habe ich mir jeden Morgen einen grossen Becher Fruchtsalat gegönnt!


Anniversary Splash Out

Punkt 11 Uhr ging Oliver Townend als Pathfinder auf die Strecke. Er zeigte mit seinem ersten von 3 Pferden dass der Kurs von Captain Mark Phillips erfolgreich zu absolvieren war. Doch so leicht es der erste Reiter erscheinen liess war die Sache dann doch nicht. Eine bestimmte und attakierende Reitweise war gefordert!
Kleine Fehler oder Missverständnisse  konnten verherende Folgen haben. Ein erstes "Opfer" war bekanntlich Michi Jung, der mit seiner führenden Stute fischerRocana schon beim ersten Wasser unter der Lions Bridge den Boden unter den Füssen verlor.
Weitere Anwärter auf den Sieg oder eine sehr gute Klassierung mussten ihre Chancen auf der Strecke beerdigen. Andrew Hoy bezahlte ein kleines Hängenbleiben von Rutherglen beim Ecken-Ausprung von Capability's Cutting teuer weil er leicht vor dem Pferd sprang. Tom Tom Go III, das Pferd von Niklas Bschorer, dem zweiten Deutschen am Start, sprang viel zu gross aus dem zweiten Wasser auf die Bank beim Anniversary Splash und hatte keine Chance, die In-Out zu springende Hecke zu meistern. Niklas gab auf.
Die beiden Deutschen hatten ein Déja-vue. Michi Jung stürzte schon in Luhmühlen im Wasser mit dem gleichen Pferd und Niklas Bschorer passierte ein ähnliches Missgeschick ebenfalls dieses Jahr in Badminton!


The Slate Mine - mehr Carré geht nicht!


Zwei Reiter ereilte gegen Ende des Kurses an der selben Kombination ein Fehler. Sam Griffiths mit Happy Times und Oliver Townend mit Armada - beides sehr erfahrene Pferd-Reiter-Kombinationen - hatten einen Run-Out bei der zweiten sehr schräg zu springenden Hecke im Discovery Valley.
William Fox-Pitt hätte nach dem Ausscheiden von fischerRocana mit einer guten Geländerunde die Führung alleine übernehmen können. Er wurde nach dreiviertel der Strecke bei Herbert's Hollow angehalten weil der Reiter vor ihm den folgenden Sprung demoliert hatten. Im gleich darauf folgenden Discovery Valley, wo Sam Griffiths zuvor und Oli Townend danach ein Problem hatten, wählte William die Alternative und vergass das B-Element zu springen. Noch vor dem nächsten Hindernis bemerkte er es, drehte um und kam wieder auf Kurs ohne seine Linie zu kreuzen. Das brockte ihm im Ziel über 20 Punkte Zeitüberschreitung ein! Damit war die Aussicht auf den Sieg weg!


Cottesmore Leap - der berühmte Graben


In der Zeit zu bleiben war schwierig. Nur deren zwei schafften das Kunststück. Jonelle Price mit ihrer WM-Stute Classic Moet, die eine perfekte Runde alles auf dem direkten Weg zeigte, und Christopher Burton mit seinem schnellen Vollblüter TS Jamaimo, und das trotz des alternativen Weges im Discovery Valley. Dieses Paar war am Schluss auch das einzige das die Prüfung auf dem Dressurresultat beendete. Nach der Dressur wurde Christopher von Matt Ryan gefragt, ob es richtig sei dass er noch nie Burghley beendet hätte... Christopher "bedankte" sich bei Matt, dass dieser das jetzt erwähnen musste!


Capability's Cutting Einsprung


Michi Jung liess mit seinem zweiten Pferd Sam nichts mehr anbrennen! Er kam mit minimaler Zeitüberschreitung ins Ziel.
Ich habe zu seinem Vater Joachim am Ende der Prüfung die zynische Aussage zu äussern gewagt, dass Michi mit Rocana stürzen musste um Sam die Möglichkeit für einen weiteren grossen Sieg zu geben. Er hat altersgemäss nicht mehr so viele Möglichkeiten.
Nach dem Geländetag war das Klassement gehörig durchgeschüttelt!


Land Rover Finale

Am Sonntagmorgen zeigte sich nun welche Pferde die Strapazen vom Vortag gut weggesteckt hatten. Fast alle präsentierten sich in guter Verfassung. Drei wurden schon vor der Vet-Visite zurückgezogen, zwei mussten in die Holding-Box, wobei Matthew Heat ein Einsehen für sein Pferd The Lion hatte und selbst zurückzog. Jeanette Brakewell wollte es nochmals wissen, kam aber auch beim zweiten Vortraben bei der Ground Jury nicht durch.

Von den anfänglich 74 in die Prüfung gestarteten Pferde wurden somit noch deren 50 für das abschliessende Springen zugelassen. Der Parcours war nicht extrem schwierig gebaut. Trotzdem war die Spannung sehr gross und die Stimmung auf den vollen Tribünen sehr gut. Vor allem die britischen Reiter wurden mit frenetischem Applaus verabschiedet, wenn sie fehlerfrei blieben. Eine einheimische Reiterin wurde eliminiert nach zwei Verweigerungen.
Über die fallenden Hindernisse zeigte sich noch genauer wie die Pferde den Geländetag verdaut hatten. Manch eines war nicht mehr so flink auf den Füssen.
Zum Beispiel Oliver Townend's Armada, der trotz Run-Out fast in der Zeit ins Ziel kam, wirkte recht müde und kassierte promt 16 Fehlerpunkte. Oli ist ja bekannt dafür, dass er im Gelände nichts liegen lässt!


Wer wird sein Nachfolger?


Am meisten beeindruckt hat mich TS Jamaimo unter Christopher Burton. Sicherlich am schnellsten durchs Gelände geflitzt, zeigte sich das Pferd am Sonntag in einer blendenden Form und sprang auch dank der Coolness seines Reiters einen sauberen Nuller! Wie schon erwähnt der einzige Finisher auf dem Dressurresultat.
Aber zu guter Letzt war Michi Jung mit Sam in den Parcours eingeritten und machte mit einer sicheren Runde den Sack zu und sicherte sich seinen ersten Burghley-Titel bei seiner ersten Teilnahme an diesem traditionsreichen, tollen Anlass. Da zeigten sich die Zuschauer als gute "Verlierer" mit grossem Sportgeist und feierten den Sieger mit Standing-Ovations.
Natürlich hätten sie lieber ihren William Fox-Pitt zuvorderst gesehen. Beste einheimische Reiterin war am Ende Kristina Cook, die über die drei Tage eine sehr gute Leistung zeigte.
Unter den ersten 10 klassierten sich nicht weniger als 5 Reiter/innen, die ursprünglich von der Südhalbkugel stammten, wobei Christopher Burton zwei Mal vertreten war.

Für mich waren es fünf geniale Tage. Ich habe viel erlebt und gesehen und sehr freundliche und hilfsbereite Leute kennen gelernt.
Unglücklicherweise gab kurz nach der Ankunft am Mittwoch meine SIM-Karte den Geist auf. So konnte ich kein Lebenszeichen mehr nach Hause schicken. Ich habe mir dann eine englische besorgt, doch bis die aufgeschaltet war verging auch über ein Tag. Ich überlegte mir wessen Handy ich wohl kurz ausleihen könnte um meiner Familie Entwarnung zu geben.
Joachim Jung würde mein Anliegen sicher wenigstens verstehen. Ich wollte ihn suchen gehen und ging von der Tribüne in Richtung Abreiteplatz. Als ich um den nächsten Container abbog, lief er mir direkt in die Arme. Ich schilderte ihm kurz mein Anliegen und er drückte mir sofort sein Handy in die Hand und verschwand auf dem nächsten WC.
Ich kam erst danach dazu mich ordentlich bei ihm vorzustellen und ihn darüber aufzuklären wo wir uns schon gesehen hatten.

Mein Hund Balou war oft der Anlass dass ich mit unterschiedlichsten Leuten ins Gespräch kam. Die Briten sind so hundevernarrt und haben Manieren. Ebenfalls ihre Hunde, ich konnte keinen Streit unter ihnen beobachten, und es waren viele da!

Sonntagabend, die Burghley Horse Trials 2015 sind Geschichte, ich habe für mich das Abendessen zubereitet und  konnte das einzige Mal draussen vor dem Camper essen weil es die Temperaturen und der Sonnenschein das erste Mal zuliessen.
Das Wetter allgemein war trocken, jedoch kühl, zumal am Montag vor meiner Abreise zuhause noch über 30 Grad herrschten.
In Burghley waren es dann zwischen 7 Grad am Sonntagmorgen und 20 Grad am Sonntagnachmittag, wobei die Tageshöchsttemperatur ausser sonntags nicht über 16 Grad stieg und das bei zügigem Westwind.
Um 20 Uhr hatte ich alles zusammengepackt und fuhr weiter in Richtung Blair Castle.

Clemens Santschi